Das goldene Ei oder die Seelenkraft
Ich lese zurzeit ein überaus spannendes Buch über Märchentherapie – d.h. Märchen aus allen Teilen der Welt können uns helfen, Probleme zu erkennen, Muster sichtbar oder toxische Beziehungen erkennbar machen. Dabei helfen Märchen durch ihre starke Bildersprache, indem sie die Seele direkt ansprechen, aber auch den Verstand beruhigen. Denn verfolgt man ein Märchen Schritt für Schritt und setzt es mit dem eigenen Problem gleich, können Wege aus der Krise gefunden werden. Wichtig ist es dabei natürlich das richtige Märchen zu finden! Höchstwahrscheinlich wurden Märchen auch aus diesem Grund in allen Zeiten der Menschheitsgeschichte erzählt: um das Problem fassen zu können und den Weg daraus zu finden.
Das goldene Ei
Ein Märchen hat mich dabei besonders angesprochen: das goldene Ei. Die Geschichte ist schnell erzählt – ein armes altes Ehepaar besitzt nur einen Kater und eine Henne für das tägliche Ei. Als der Kater eines Tages das Ei zerbricht, und bestraft werden soll, schützt die Henne ihn und verspricht goldene Eier. Ab diesem Zeitpunkt legt die Henne wirklich jeden Tag ein goldenes Ei – das Paar wird reich und die Henne kommt in einen Käfig, ist sie doch so kostbar. Dabei wird sie immer mehr vernachlässigt, bis sie keine Eier mehr legt. Als dann das Huhn geschlachtet werden soll, immerhin wurde sie unbrauchbar, rettet der verschmähte Kater seine Freundin und der Reichtum der alten Leute verschwindet mit einem Mal – plötzlich sitzen alle wieder in der alten Stube!
In der Interpretation wird im Märchen eine dysfunktionale Beziehung geschildert – einer gibt und gibt, und hält alles im Gleichgewicht, während der andere nur nimmt. In der Geschichte geht es sogar so weit, dass das goldene Ei jemand anderen schützt, d.h. nur durch das Legen der Eier darf ein anderer Teil der Familie sein. Ich bin in meiner Auslegung einen Schritt weiter – für mich steht das goldene Ei für die Seelenkraft schlechthin und die bedingungslose Liebe. Eine toxische Beziehung, und das muss jetzt keine Paarbeziehung sein, sondern kann genauso gut eine Freundschaft oder Familie sein, kennzeichnet sich dadurch, dass ein Ungleichgewicht herrscht: während der eine, anfangs noch mit Freuden, gibt und gibt, hält der andere die Hand auf und verlangt sogar die goldenen Eier.
Mit der Seelenkraft aus der toxischen Beziehung
Mich hat das Märchen auch aus diesem Grund angesprochen, weil es so plakativ ist. Man kann damit eine ungleiche Beziehung wunderbar mittels Bilder darstellen und auf einmal wird alles so klar. Jeder Mensch sollte in der Lage sein „goldene Eier“ zu legen – d.h. seine Seelenkraft und bedingungslose Liebe ausdrücken können. Ich gehe sogar so weit zu sagen – jeder MUSS es, denn nur wer für sich selbst Eier legt und seine Seele nährt, ist in seiner Seelenkraft. Was kann das sein? Zeit für sich nehmen, ein Buch lesen, in der Natur spazieren gehen, genießen ohne Reue – es gibt so viele Dinge, die die Seele nähren und sie alle sind goldene Eier. Wenn man einen anderen Menschen kennenlernt und sich verliebt, dann sollte es so sein, dass man durch seine bedingungslose Liebe dem anderen wunderbare goldene Eier schenkt – der andere nimmt diese Geschenke und nährt sie durch seine Liebe weiter. Dadurch vervielfacht sich die Kraft dieser goldenen Eier! Auf diesen Weise beschenken sich die beiden gegenseitig und nähren ihre Seelen.
In einer toxischen Beziehung kommt nichts zurück – der eine schenkt in seiner Liebe und hofft auf einen kleinen Funken, der vielleicht zurückkommt. Aber es kommt nichts! Auch die Eier werden umsonst geschenkt, denn der andere kann sie nicht weiter nähren und somit sterben sie ab. Da aber Partner, die keine bedingungslose Liebe schenken können, in ihrem Innersten spüren, dass diese goldenen Eier das darstellen, was sie selbst nicht erschaffen können, werden sie süchtig danach. Sie verlangen immer mehr, können sie aber nicht verwenden. Irgendwann ist der gebende Partner einfach ausgesaugt und ausgelaugt – er kann auch nichts mehr für sich selbst schaffen und die Geschenke werden immer kleiner. Hier ist der Wendepunkt – entweder erkennt man das Dilemma und bricht aus seinem Käfig aus, so wie die Henne im Märchen, oder man geht daran zugrunde!
Als kleine Anregung an meine Leser: überprüft all eure Beziehungen in eurem Leben und schaut, ob ihr euch in einer toxischen befindet. Und ganz wichtig: legt für euch selbst goldene Eier und nährt eure Seelenkraft!